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KÜNSTLER
        
          IN  DER  FAMILIE





Richard Fricsay sen.
 1867 - 1945

Richard Fricsay jun.
 1888 - 1960
 
Livia Dobay
 1912 - 2002
Biografie
100. Geburtstag
Repertoire
Wegbegleiter
Erlebtes
Anekdote
 
Rita Schuler
 1933 - 2006
Andras Fricsay
 geb. 1942
Ferenc von Szita
 geb. 1969
 

Die Flucht aus Ungarn 1956


...  wortlos stapften mein Sohn und ich hinter dem bezahlten Schlepper. Unsere Augen hatten sich ans Dunkel gewöhnt, konnten ohne Mondschein gut erkennen, wo wir die Schritte setzen mussten.  Unerwartet blieb der Mann stehen, als vor uns ein durchgepflügtes, endloses Feld lag. „Sie müssen in diese Richtung“, er zeigte dem Feld entlang. „Immer weiter! Halten sie die Richtung: Einfach geradeaus, immer weiter. Irgenwann werden sie einen Waldrand erreichen! Stacheldraht und Mienen sind anscheinend inzwischen beseitigt. Ich habe schon länger von keinen Zwischenfällen gehört." Er senkte den Kopf und schwieg. "Wenn sie im Wald sind, haben sie es geschafft! “ Es hörte sich kinderleicht an. „Lassen sie sich nicht von Soldaten erwischen“, fügte er hinzu und verschwand im Dunkeln.

Wir realisierten Luftfeuchtigkeit und  Kälte, Dunkelheit und Verlassenheit. „Wir schaffen es!“ motivierte mich mein Sohn. Mit dem Kopf im  Rhythmus „wir schaffen es“ nickend, setzten wir einen Fuss vor den andern.  Wir verständigten uns  durch Handzeichen. Mit den Augen suchten wir das Gelände nach Bewegungen und Lichtkegel ab, liessen uns blitzartig in eine Ackerfurche fallen, wenn wir glaubten Soldaten zu entdecken. Erschwerend kam hinzu, dass ich im Mantelfutter, auch im unteren Teil der Knopfleiste Familienschmuck eingenäht hatte. Es schmerzte ungemein, wenn ich beim Kriechen  die Perlenkette in die Kniescheibe drückte. Warum hatte ich beim Einnähen nicht daran gedacht, dass ich möglicherweise auf allen Vieren kriechen würde?

Ein plötzlicher, fester Griff an meiner Schulter stoppte mich mitten in der Vorwärtsbewegung. Mein Sohn drückte mich auf den Boden, tief in die Ackerfurche. Er zeigte mit der zweiten Hand auf die Gefahrenquelle: Ungefähr fünfzig Meter vor uns  suchten zwei Soldaten mit kleinen Scheinwerfern die Gegend ab.  Dann erlebten wir den Gipfel der Angst, als einer der Männer mit einer Pistole Leuchtraketen in die Luft schoss. Ich drückte den ganzen Körper so flach als möglich in eine längliche Erdmulde. Ich schloss die Augen, denn ich wollte nicht sehen, wie sie auf uns zukamen mit ihren Gewehren. „Sie werden uns mit den Gewehrkolben schlagen, ihren Stiefeln treten und alle Knochen brechen“schoss es mir durch den Kopf. Angstschweiss rann mir über die Stirn.

„Gut hast Du es gemacht", hörte ich meinen Sohn in mein Ohr flüstern, "so reglos können eigentlich nur Tote liegen. Er half mir auf die Beine. „Sag, sind wir frei?“ „Nein, Mutter. Aber die Soldaten sind gegangen.“ Er streichelte mir über die nasse Stirn, nahm mich kurz in die Arme und sagte: „Wir schaffen es!“  Ich trottete neben ihm und wir fanden zum Gleichschritt zurück. Irgendwann blieb er wie angewurzelt stehen:  „Schau genau hin, Mamika, dort ist der Wald von dem unser Schlepper sprach. Dort ist die Landesgrenze! Dort beginnt die Freiheit!“



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